Per J. Andersson: Vom Elefanten, der das Tanzen lernte

Als ich das aktuelle Buch von Per J. Andersson das erste Mal in Händen hielt, dachte ich: „Wow, was für ein schönes Cover!“

Per J. Andersson: Vom Elefanten, der das Tanzen lernte (Foto © Esther Kock)
Per J. Andersson: Vom Elefanten, der das Tanzen lernte (Foto © Esther Kock)

Ein gezeichneter Elefant mit erhobenem Kopf und Rüssel ist im Begriff leichtfüßig loszulaufen. Hübsche, orientalisch anmutende Ornamente und ein Farbton in grün-braun fügen sich harmonisch in ein wunderschönes Gesamtbild!

Das Cover und nicht zuletzt der Titel „Vom Elefanten, der das Tanzen lernte“ haben mich neugierig gemacht. Ich gebe zu, ich war zunächst enttäuscht, als ich im 3. Kapitel „Elefantenritt in die Zukunft“ erfahren habe, dass der Buchtitel auf einen Artikel der „Times of India“ Bezug nimmt. Vielleicht hatte ich auf etwas Erstaunliches aus den Mythen der indischen Götterwelt gehofft, denn ich verband den Titel spontan mit Ganesha, dem elefantenköpfigen Gott. Jedenfalls hatte ich nicht an so etwas Profanes wie die indische Wirtschaftsentwicklung gedacht.

In der ersten Hälfte des Buchs hätte ich fast aufgegeben und nicht weitergelesen. Ich war nicht interessiert an einem durchweg politischen Buch und der detaillierten Geschichte Indiens. So dachte ich und bin doch sehr froh, dass ich weitergelesen habe. Denn es hat sich wirklich gelohnt!

Das Buch und sein Inhalt

„Vom Elefanten, der das Tanzen lernte“ umfasst insgesamt 27 Kapitel und eine Landkarte von Indien, auf der ich ständig etwas nachgesehen habe.

Das Buch ist in vielerlei Hinsicht überaus informativ! Ich kann hier nur einen ganz kleinen Teil der Themen erwähnen, die mich besonders berührt haben und wegen derer ich hoffe, dass dieses Buch besonders viele Leser finden wird.

In Kapitel 7 „Familienherrschaft und Befreiung der Frau“ wird berichtet, wie sehr die sozialen Medien indische Frauen unterstützen können, aus ihrer untertänigen Frauenrolle auszubrechen.

Zum Glück gehören Sitten wie die Witwenverbrennung der Geschichte an! Aber in vielen Teilen Indiens ist das Frauenideal auch heute noch eine gehorsame untertänige Frau, und arrangierte Ehen sind keine Ausnahme.

Es wird von mutigen, starken Frauen erzählt und von der Widerstandsbewegung „Gulabi Gang“ („die rosa Gang“). Die Gulabi Gang wurde von Sampat Pal Devi gegründet und hat inzwischen eine halbe Million Mitglieder. Sampat Pal Devi wird auch als weibliche Robin Hood bezeichnet, denn die Gulabi Gang hilft unterdrückten Frauen. Wirklich faszinierend!

„Der Zug aus Pakistan“ in Kapitel 11 schildert die grausamen Geschehnisse im August 1947. Andersson erzählt, was im Jahr der Unabhängigkeit zu einer Trennung Pakistans von Indien führte. Dass in dem Dorf Mona Marja in Nordwestindien Hindus, Sikhs und Muslime Freunde waren und die Dorfbewohner schockiert waren, dass sie von nun an nicht mehr zusammen würden leben können. Er erläutert den Versuch der Amerikanerin Martha C. Nussbaum, zu erklären, wie es zu einem Völkermord kommen kann.

Im 12. Kapitel „Sightseeing im Slum“ erstaunte mich die Schilderung, wie es Slumbewohner schaffen, sich selbst zu organisieren. Und ich versuchte gleichzeitig zu verstehen, wie es möglich ist, dass 600.000 Menschen auf nicht einmal zwei Quadratkilometern leben können. In Asiens größtem Slum in Bombay ist das der Fall.

In Kapitel 13 „Die blaue Stadt in der großen Wüste“ steht etwas über das Luxusleben der Maharadschas; über Kuriositäten wie eine Hunde-Hochzeitsfeier mit 250 Hunden als Gästen, die den Bräutigam auf geschmückten Elefanten empfingen. Aber auch über die sogenannte Bishnoi-Sekte, deren Mitglieder die ersten Baum-Umarmer Indiens sind und sich für die Tierrechte einsetzen.

Die Überschrift „Gott ist einer und viele“ zu Kapitel 14 beschreibt punktgenau, was in diesem Teil des Buchs das Thema ist: Einerseits gibt es – auch im Hinduismus – nur einen einzigartigen Gott. Andererseits jedoch werden so viele verschiedene Götter, wie zum Beispiel Vishnu, Shiva, Kali und Durga, angebetet. Ist das ein Widerspruch?

Ist es nicht erstaunlich, dass im Mannarasala-Tempel in Kerala 30.000 Schlangengott-Ikonen stehen? Dass die als heilig angesehenen Schlangen gefüttert werden und daher enorm viele Schlangen dort leben?

In Kapitel 17 erfährst du, in welchem Dorf Anderssons Freund Pikay aus „Vom Inder, der mit dem Fahrrad nach Schweden fuhr, um seine große Liebe wiederzufinden“ geboren ist. Ein Buch, das ich unbedingt auch einmal lesen möchte.

Im 23. Kapitel, das sich dem Thema indische Literatur widmet, habe ich mich riesig über die Erwähnung der Legende um den Affenkönig Hanuman gefreut. Denn meine wundervolle Tochter, die sich zur Zeit im Süden Indiens aufhält und mein Interesse an dem Buch überhaupt erst geweckt hat, hatte mir bereits im letzten Jahr mit großer Leidenschaft genau von dieser Legende erzählt.

Andersson erklärt in weiteren Kapiteln wie das Kastensystem entstand, worauf die Kolonialzeit der Briten Einfluss genommen hat, dass Ayurveda in Indien nicht nur für traditionelle alternative Medizin steht. Er erläutert auch die Klimazonen Indiens, erzählt, wie viele verschiedene wilde Tiere in Indien beheimatet sind und vieles mehr.

Zitat aus dem 13. Kapitel „Die blaue Stadt in der großen Wüste“

Die folgenden Sätze sind für mich schöne Beispiele dafür, wie gut der Autor es versteht, die Leserinnen und Leser mit wenigen Worten die besondere Atmosphäre Indiens erleben zu lassen:

„Ich setze mich in einen der beigefarbenen, schmuddeligen Plastikstühle an der Straße und nicke dem Verkäufer zu, der in einer kleinen Bude im Lotussitz zwischen Bergen von Apfelsinen und Granatäpfeln auf dem Tisch hockt.
[…]
Neben mir Männer mit Mopedhelmen am Arm und Frauen mit kleinen Kindern und Tüten voller Gemüse. Wir haben zwei Dinge gemeinsam: Alle haben wir ein Glas eiskaltes Lassi in der Hand und alle den Blick in die Ferne gerichtet. Das Lärmen der Stadt wird leise, alles wird seltsam still … und safrangelb. Alle Konzentration auf einen Punkt am Gaumen, wo es göttlich schmeckt.“

Meine Meinung und Fazit

Obwohl mich die detaillierte Schilderung der historischen Ereignisse und der Zusammenhänge zwischen Politik und Wirtschaft zu Beginn zurückschrecken ließ, bin ich nach der Lektüre begeistert von dem „Elefanten, der das Tanzen lernte“!

Das Buch ist leicht verständlich geschrieben, und ich habe einiges Wissenswerte und viel Erstaunliches über das Land, seine Geschichte, Kultur und die dort lebenden Menschen erfahren: Lohnenswerte Lektüre für alle, die sich für Indien interessieren!

Bibliographische Angaben und Bestellmöglichkeit

Per J. Andersson: Vom Elefanten, der das Tanzen lernte
Verlag C. H. Beck, 1. Auflage 2019, 335 Seiten,
ISBN 978-3-406-73160-0, Preis: 16,95 Euro

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